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RGOW 10/2023: Dauerbaustelle. Orthodoxie, Nation und Demokratie

Wie positionieren sich die orthodoxen Kirchen gegenüber den postkommunistischen demokratischen Systemen? Schätzen und fördern sie die soziopolitischen Bedingungen pluralistischer Zivilgesellschaften, oder streben sie eher eine privilegierte Stellung im Nationalstaat an, indem sie von einer engen Verknüpfung von religiöser und nationaler Identität ausgehen?

Während das 2020 vom Ökumenischen Patriarchat veröffentlichte Sozialethos der Orthodoxen Kirche vor einer „Verschmelzung von nationaler, ethnischer und religiöser Identität“ warnt (§10), unterstützt die Russische Orthodoxe Kirche den gegenwärtigen Krieg des russischen Regimes gegen die moderne „westliche Zivilisation“ und beschwört eine scheinbar harmonische „Symphonie“ zwischen (autoritärem) Staat und Kirche. Doch nicht nur im Extremfall Russlands ist Skepsis gegenüber liberalen Demokratien zu spüren, auch in anderen mehrheitlich orthodoxen Ländern stehen ihnen manche Gläubige aus historischen und theologischen Gründen zumindest ambivalent gegenüber. In vier Länderstudien und drei Beiträgen zu konstruktiven Auseinandersetzungen der orthodoxen Tradition mit Demokratie und Pluralismus gehen wir dem Verhältnis von Orthodoxie, Nation und Demokratie nach.

Die Ausgabe wurde gefördert von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

pdfInhaltsverzeichnis und Editorial

Lesen Sie in dieser Ausgabe:

Orthodoxe Theologie und demokratischer Pluralismus

Nathaniel Wood
Die orthodoxen Kirchen in den postkommunistischen Demokratien Mittel- und Osteuropas streben häufig eine privilegierte Stellung im Nationalstaat an und stehen demokratischem Pluralismus skeptisch gegenüber. Im frühen 20. Jahrhundert haben russi…

Orthodoxie und Demokratie? Exilrussische politische Theologie in der Zwischenkriegszeit

Regula Zwahlen
Über die Vereinbarkeit von Religion und Demokratie haben russische religiöse Intellektuelle, die sowohl der zaristischen „Theokratie“ als auch den atheistischen Sozialrevolutionären gegenüber kritisch eingestellt waren, bereits zu Beginn des 20.&nbs…

Die Desakralisierung der Nation in der orthodoxen Welt

Chris Durante
Die historisch entstandene Struktur orthodoxer Nationalkirchen steht in einem Spannungs­verhältnis zur Verurteilung des sog. Phyletismus durch die Synode von 1872. Doch muss ein Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen ethnokulturellen Gemeinschaft von eine…

Jenseits des Politischen? Die orthodoxe Kirche im postsozialistischen Rumänien

Mihai-D. Grigore
Die Rumänische Orthodoxe Kirche ist nach dem Systemumbruch wiederaufgelebt. Die Kirche hat eine Reihe sozialer Initiativen gestartet, und Religionsunterricht wurde wieder an den staatlichen Schulen eingeführt. Der rumänische Staat unterstützt die or…

Vermisste prophetische Stimme. Hybride Demokratie und orthodoxe Kirche in Serbien

Vukašin Milićević
Seit dem Zerfall Jugoslawiens haben sich in Serbien Kirche und Staat einander immer stärker angenähert. Die orthodoxe Kirche ist zu einer Unterstützerin einer Staatsmacht geworden, die die demokratischen Institutionen aushöhlt und immer autoritärer…

Die Bulgarische Orthodoxe Kirche und die Versuchung des (Ethno-)Phyletismus

Daniela Kalkandjieva
Auf die Entstehung des Bulgarischen Exarchats reagierte die Synode von Konstantinopel 1872 mit der Verurteilung des sog. Ethnophyletismus. Mit diesem wird eine Unterordnung des orthodoxen Glaubens unter ethnische Identitäten und nationale Interessen…

Ambivalente Erfahrungen. Demokratie und Orthodoxie in Griechenland

Alexandros Sakellariou
Im 20. Jahrhundert kollaborierte die Orthodoxe Kirche von Griechenland mit zwei Diktaturen, von denen sie sich auch später nicht klar distanzierte. Heute bekennt sich die Kirche zur Demokratie als politischem System, lehnt aber in vielen Fragen…